Bergwerk Sigmundshall: Ende nach 123 Jahren

Bergwerk Sigmundshall: Ende nach 123 Jahren

© alle Fotos: K+S

Glück auf! So begrüßt man sich unter Tage im Bergwerk Sigmundshall. Der Kaliberg ist mit seiner 123-jährigen Geschichte nicht nur ein Spiegel des Zeitgeschehens, sondern führt auch die turbulente Entwicklung des deutschen Kalibergbaus vor Augen. Um einen kleinen Einblick zu bekommen, habe ich ein Interview mit Industriemechaniker Nils Bauch geführt, der uns erzählt, wie es in dem Bergwerk zugeht. Wusstet Ihr etwa, dass sich unter dem Berg ein Straßennetz von über 300 Kilometern befindet?

Von Arne Krocker

Wie nennt sich Ihr Beruf?
Ich bin Industriemechaniker, bis vor einer Weile hieß der Beruf „Schlosser“. Vor der Werksschließung waren wir unter Tage für die Wartung und Instandhaltung der Bandanlagen verantwortlich, die das Salz beförderten. Da wir jetzt kein Salz mehr abbauen und zu Tage fördern, bin ich seitdem mit dem Rückbau der Bandanlagen beschäftigt, denn alle Einbauten und Maschinen müssen raus. Ende 2022 soll der Rückbau abgeschlossen sein.

Was ist Ihre Aufgabe über Tage?
Über Tage wurde das Salz zu Industrie- oder Speisesalz verarbeitet. Dafür gab es verschiedene Produktionsanlagen auf dem Grundstück des Bergwerks, die wir instand halten mussten. Fast alle Anlagen sind stillgelegt, nur eine Recyclinganlage läuft weiter. Diese Anlage trennt aus der gelieferten Schlacken die darin enthaltenen Wertstoffe z.B. Aluminium ab. Übrig bleibt ein Stoff, der als Abdeckung für die Halde verwendet wird. Dieses Gemisch dient als Substrat für die Begrünung.

Warum wurde der Bergbau eingestellt?
Das Salzvorkommen ist bis auf die unterste Sole (Ebene) bei 1.400 Meter abgebaut. Das Bergwerk ist ausgebeutet, wie der Bergmann sagt. Weiterer Abbau von restlichen Salzen ist auch wegen der hohen Kosten nicht mehr möglich . Die Hitzebedingungen für einen Abbau auf der nächst tieferen Sole sind zu hoch. Die Belastung durch die zunehmende Wärme wäre sowohl für den Menschen als auch für die Maschinen zu groß. Eine rentable Produktion ist somit nicht mehr möglich. In den untersten Abbaubereichen herrschen Temperaturen von bis zu 50 Grad Celsius.

So sieht es unterhalb des Kalibergs in etwa 1.000 Metern unter der Erde aus.
So sieht es unterhalb des Kalibergs in etwa 1.000 Metern unter der Erde aus.

Was hat sich durch die Schließung verändert – und was gibt es noch zu tun?
Es wird nichts mehr produziert. Sämtliche Bandanlagen, Maschinen, die Eisenbahn und die entsprechenden Gleisanlagen sowie die Werkstattcontainer müssen zerlegt und zurück nach oben gebracht werden. Das ist eine sehr weite Strecke mit mehreren Ebenen. Auf 350 Metern Teufe ist die erste Ebene, die folgenden Ebenen sind dann auf 500 Metern, 725 Metern, 940 Metern, 1150 Metern und dann 1400 Metern. Die gesamte Fläche befindet sich unter der Erdoberfläche und geht ca. von Hagenburg am Steinhuder Meer bis nach Kolenfeld zur Autobahn. Das sind ungefähr 12 km Entfernung. Unter Tage haben wir ein Straßennetz von über 300 Kilometern.

Wie kann man sich die Arbeit ohne Tageslicht und ohne Frischluft vorstellen?
Es ist körperlich sehr anstrengend. In manchen Bereichen hat man kaum Wetterführung (Luft). Manchmal ist die Wetterführung zum Arbeiten zu gering, so dass man den Bereich erst „auswettern“muss, also mit ausreichend Frischluft versorgen muss. Solange kann dort nicht gearbeitet werden. Für Pausen fährt man nicht komplett nach draußen, sondern nur in Bereiche, in denen mehr Wetterführung, also sehr viel Frischluft ist. Die Luftbedingungen sind gut. Wir haben in Kolenfeld einen Wetterschacht, der 940 Meter tief ist und sehr große Mengen Frischluft einzieht. Durch die Wetterführung und die Schächte entsteht eine Zirkulation, und die Frischluft verteilt sich in den Ebenen.

So sieht der Schachtbereich mit Hängebank aus – die Stelle, an der die Bergleute in den Korb steigen und in die Grube einfahren.
So sieht der Schachtbereich mit Hängebank aus – die Stelle, an der die Bergleute in den Korb steigen und in die Grube einfahren.

Gibt es besondere Gefahren?
Ja, es gibt Risiken. In vielen Bereichen ist der Gebirgsdruck so hoch, dass sich Steine und Brocken in den tunnelartigen Fahrstrecken lösen können. Vor Arbeitsantritt wird deshalb immer kontrolliert, wo sich solche sogenannten „Löser“ befinden können. Wenn man es nicht sieht, kann man mit einer Stange die Wände abklopfen. Durch solche Löser sind auch schon Unfälle passiert. Deshalb lösen wir diese lockeren Brocken vor der Arbeit immer ab.

Waren Sie schon einmal in so einer gefährlichen Situation oder haben Sie eine solche miterlebt?
Ja. Eigentlich wurden die Strecken gut kontrolliert, aber man muss selber auch immer ein Auge darauf haben. Mir ist es auch schon passiert, dass ich noch vorhandene Löser entdeckt habe. Die Sicherheit der Kollegen oder Kumpels, wie der Bergmann sagt,  steht an erster Stelle. Dementsprechend haben wir zu allererst die Löser entfernt. Es ist aber auch schon vorgekommen, dass zu viele Löser vorhanden waren, die dann mit Maschinen entfernt werden mussten. Wir mussten dann unsere Arbeit abbrechen und wo anders weitermachen. Die Sicherheit hat bei unserer Arbeit oberste Priorität. Daran erinnern wir uns ständig auch gegenseitig. Stuft man eine Arbeit als zu gefährlich ein, bricht man sie ab und macht den Arbeitsbereich zunächst sicher. Das sollte allerdings für jegliche Art von Arbeit gelten.

Gibt es bestimmte Schutzmaßnahmen?
Ja. Es gibt Notfallpläne mit entsprechenden Sammelplätzen für Notfallsituationen. Jeder hat immer ein Funkgerät im Auto. Bei einem Alarm fährt man dann zur einen der fünf Sammelstellen. Dort zieht man einen Selbstretter an, das ist ein kleines Sauerstoffgerät. Dieser ist durch ein geschlossenes System von seiner Umgebung unabhängig. Man kann damit locker drei Stunden atmen ohne von der Umgebungsluft abhängig zu sein und man ist bei Rauch- oder Gasentwicklung geschützt. Durch die Bohrungen können zum Beispiel in das Salz eingeschlossene Gasblasen freigesetzt werden. Eine gute Vorbereitung kann Leben retten. Man muss wegen der Hitze unter Tage viel trinken. Ich habe es auch schon mal geschafft, sechs Liter in einer Schicht zu trinken.

Können durch diese Arbeit körperliche Schäden entstehen?
Nicht wenn man sich an die Regeln hält. Man muss auch selbst Acht geben wie man arbeitet.

Wird man von K+S in irgendeiner Hinsicht unterstützt?
Wir bekommen Zuschüsse, wenn man sich im Fitness-Studio anmeldet. Es gibt verschiedene Kurse unseres Gesundheitsmanagements. Gesundheitsprogramme werden gefördert. Man bekommt unter Tage auch Zulagen. Je wärmer der aktuelle Arbeitsort, desto höher die Zulage. Auch verkürzte Arbeitszeiten können vorkommen. Also wenn die Wärme an einem Tag ungewöhnlich hoch war, ist ein früherer Feierabend möglich.

Was passiert mit der Anlage, wenn alles abgebaut ist?
Die Schächte werden mit gesättigtem Salzwassergeflutet. Später kommt dann ein Betondeckel drauf, so dass kein Zugang zum Bergwerk mehr möglich ist. Und der „Kali-Berg“ wird noch komplett begrünt.

Warum haben Sie sich für diese körperlich anstrengende Ausbildung entschieden?
Mich hat der Metallberuf schon immer interessiert. Über Tage – auf dem Bergwerk – haben wir viel in der Werkstatt gearbeitet. Das Reparieren und Instandhalten macht mir viel Spaß.

Wie lange dauert die Ausbildung?
Die Ausbildung zum Industriemechaniker dauert dreieinhalb Jahre. Man kann sie aber auch auf drei Jahre verkürzen.

Welche Tätigkeit finden sie am interessantesten?
Das Demontieren von komplizierteren Anlagen. Denn es fordert einen mehr heraus, wenn man mehr nachdenken muss.