Interview mit einem Stadtführer: „Wunstorf ist sehr viel mehr, als du denkst …“

Interview mit einem Stadtführer: „Wunstorf ist sehr viel mehr, als du denkst …“

© Fotos: wunstorf.de

Norbert Tornow führt seit vielen Jahren Besucher und Schulklassen durch die Stadt Wunstorf. Im Interview hatte ich die Gelegenheit, von ihm viel über die Geschichte und Geschichten unserer Stadt zu erfahren.

Von Julian Schulz

Finden Sie, dass Wunstorf eine Stadt ist – oder ein „großes Dorf“?
Ich finde, dass Wunstorf schon eine Stadt ist. Einmal, weil sie die Stadtrechte hat und zum anderen die Infrastruktur einer Stadt besitzt.

Seit wann ist Wunstorf eigentlich eine „echte“ Stadt?
Das ist eine lange Geschichte, denn wir feiern dieses Jahr die erste urkundliche Erwähnung, die vor 1150 Jahren erfolgte, also im Jahre 871. Die Verleihung der Stadtrechte erfolgte dann 1261 durch den Mindener Bischof Cuno.

Was macht Wunstorf Ihrer Meinung nach besonders?
Besonders ist zum Beispiel der Bereich rund um die Stiftskirche, also der „Stiftshügel“ und die umliegenden Gebäude. Außerdem ist der „Abteihügel“ zwischen der Abtei und der Stadtkirche ein besonderer Platz als Tor zur Altstadt und zum Stadtzentrum. Es heißt nicht ohne Grund, dass Wunstorf die schönste Innenstadt der Region hat.

Auf was können (oder sollten) die Wunstorfer stolz sein?
Zum Beispiel, dass sich Wunstorf zu einer guten Schulstadt entwickelt hat und man dadurch auf vielen Wegen Bildung vermittelt bekommt. Wunstorfs Schulgeschichte zeigt, dass die Stadt schon sehr früh den Bildungsinteressen ihrer Bürger entsprechen wollte. Beispielsweise wurde schon 1904 mit der Scharnhorstschule eine damals noch private Schule eingerichtet, weil der Bedarf da war – und diese Schule wurde dann auch 111 Jahre alt. Außerdem kann man auf den Bürgerpark stolz sein, für dessen Erhaltung sich viele Bürger engagieren Es gibt viele weitere Initiativen und Vereine, deren Mitglieder die Stadt durch ihr Engagement so liebenswerter machen.

Im Wappen der Stadt sieht man einen Löwen und eine Art Burg – können Sie die Bedeutung dahinter erklären?

Fangen wir bei der Burg an: Wie du sehen kannst, ist das eine silberne Burg auf blauem Grund. Dazu besitzt die Burg goldene Tore, die offen stehen – und zwischen den beiden Türmen der Burg befindet sich ein goldener Löwe. Es gibt einen Unterschied zwischen dem rechten und dem linken Turm. Der linke Turm mit dem Kleeblatt steht für die Stadtkirche, auch „Bürgerkirche“ genannt. Der andere Turm mit den schmalen Fenstern steht für die größere Stiftskirche. Die offenen Tore sollen zeigen, dass man in die Stadt rein konnte und dort Handel treiben konnte. Und zu guter Letzt der Löwe, der steht für die Grafen von Roden, die damals in Wunstorf herrschten. Das Wappen soll zum Ausdruck bringen, das Geistlichkeit, Bürger und Adel gemeinsam die frühere Entwicklung Wunstorfs prägte.

Wie viele Menschen haben Sie bereits durch Wunstorf geführt?
So genau weiß ich das natürlich nicht, aber das waren bestimmt etwa 1.200 Gäste. Und wenn ich die Schulklassen dazu nehme, habe ich insgesamt sicher um die 2.500 Menschen durch die Stadt geführt.

Sind das vor allem Einheimische, die sich für ihre Stadt interessieren oder Besucher von außerhalb?
Es kommen viele Wunstorfer, die zu den regulären Stadtführungen, die jeweils am ersten Mittwoch und am dritten Sonntag eines Monats stattfinden, kommen. Aber auch viele Interessierte aus den umliegenden Ortschaften und den umliegenden Kleinstädten. Zudem kommen nicht nur Gäste aus dem Umkreis, sondern auch Besucher aus anderen Bundesländern, ja sogar aus fernen Ländern wie den USA oder Australien, die ich dann in englischer Sprache führe.

Und weil wir gerade bei dem Thema sind: Machen Sie bestimmte Stadtführungen – und was sind die beliebtesten?
Ich mache drei verschiedene Stadtführungen. Zum einen die historische Stadtführung, die ist die beliebteste. Dann mache ich eine Kirchenführung in der Sigwardskirche in Idensen, und seit zwei Jahren mache ich eine Führung durch Wunstorfs Schulgeschichte.

Um was geht denn es bei der Führung durch Wunstorfs Schulgeschichte?
Da geht es um die Entwicklung Wunstorfs zur Schulstadt, also von den Anfängen der ersten Schule im Jahr 1288 bis hin zur heutigen Evangelischen IGS Wunstorf. Es ist eine Führung mit dem Fahrrad. Wir schauen bei den Schulen vorbei, und ich erzähle, wann sie entstanden ist, was die Besonderheiten der jeweiligen Schule war oder immer noch ist.

Was ist denn eine Besonderheit unserer Schule?
Das heute renovierte und erweiterte Schulgebäude der Ev. IGS beherbergt mit einer integrierten Gesamtschule eine für Wunstorf völlig neue Schulform. Ursprünglich wurde das Schulzentrum an der Aue errichtet, um mit der Einführung der Orientierungsstufe (OS)  ebenfalls einer neuen Schulform Unterrichtsraum zu bieten. Der Bezug der Schule erfolgte zum Schuljahresbeginn 1976/77 zusammen mit der Scharnhorstrealschule und der Hauptschule an der Aue. Nach dem Aus der OS zum Schuljahr 2003/2004 und der Entscheidung für eine IGS am Standort des Auezentrums war dann auch das Schicksal der Scharnhorstschule und der mit ihr verbundenen Erich-Kästner-Hauptschule 2015 besiegelt. Da das von Stadt und Kirche eingeleitete Genehmigungsverfahren für eine evangelische IGS  sich nicht so schnell realisieren ließ, startete die Schule im Schuljahr 2010/2011 zunächst als staatliche integrierte Gesamtschule. Die Übernahme der Trägerschaft durch das Evangelische Schulwerk der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover erfolgte dann ein Jahr später.

Mit welchen Geschichten können Sie bei Ihren Stadtführungen den größten Eindruck machen – etwa die Geschichte hinter dem Korb an der Kirche?
Ach, da gibt es viele Geschichten, wie etwa die Geschichte von Ortgis Dove. Das war ein Brandstifter, der 1750 einen Großteil Wunstorfs in Schutt und Asche legte. Oder am Ratskeller erzähle ich immer von einem Räuber namens Nickel List, der am Ende des 17. Jahrhunderts mit seiner Bande im Ratskeller logierte und später auch hingerichtet wurde. Es gibt da viele „Klassiker“, die ich an ganz verschiedenen Stellen in Wunstorf erzählen kann.

Können Sie selbst Wunstorfer bei ihren Stadtführungen noch überraschen?
Ja, es gibt viele Dinge, die etlichen Wunstorfern nicht bewusst oder bekannt sind, obwohl sie schon viele Male daran vorbei gegangen sind. Viele wissen zum Beispiel nichts von dem Korb an der Kirche oder von einem Neid-Kopf an der Stadtkirche – oder was mit dem Räuber passiert ist.

Was hat es denn mit dem Korb an der Kirche und mit dem Neid-Kopf auf sich?
Der Eisenkorb an der Südseite des Stadtkirchenturms hat wenigstens einmal als Pranger gedient. Der Wunstorfer Ortgis Dove hat aus Verärgerung über ihn verhängte Strafen durch den Magistrat im Jahre 1570 ein schlimm wütendes Feuer in der Stadt gelegt. Er war schon oft wegen vieler Vergehen gegen die öffentliche Ordnung und wegen Trunkenheit auffällig geworden. Als man ihn nach der Brandlegung verhaften wollte, hatte er sich selbst schon das Leben genommen.  Aber der Magistrat wollte ein Zeichen setzen und deshalb ließ er den Kopf zur Abschreckung in diesem Korb aufhängen.

Wahrscheinlich wurde der Korb auch als Pestmal genutzt. Bei auftretenden Seuchen wurde dann ein Schwelbrand in ihm entfacht, dessen Rauch schon von weitem sichtbar war und Fremde vor dem Betreten der Stadt warnen konnte.

Der Neidkopf an der Südseite der Stadtkirche stellt eine Fratze oder einen Dämon dar. Er sollte die Kirche und die Gemeinde vor dem Bösen schützen. Im Mittelalter waren Glaube und Aberglaube doch noch recht eng verbunden.