Der große Kaliberg im kleinen Bokeloh

Der große Kaliberg im kleinen Bokeloh

© alle Fotos: Kali+Salz

Wahrscheinlich hat jeder Wunstorfer schon einmal etwas vom Kaliberg gehört und auch gesehen. Bei so einem großen und prächtigen Berg ist es ja auch schwer, den Blick abzuwenden. Aber wissen die Leute auch, wie viel dahinter steckt? Wissen sie, wie stolz sie eigentlich darauf sein können, so ein Bergwerk in ihrer Stadt zu haben? Um uns allen die Arbeit im Bergbau und den Kaliberg im Allgemeinen etwas näher zu bringen, habe ich ein Interview mit Jörg Willecke, einem Mitarbeiter des Werk Sigmundshall, geführt und viele neue Dinge erfahren, die viele von euch bestimmt auch noch nicht wussten.

Von Leonie Hohenhaus

Seit wann gibt es den Kaliberg?
Da könnte ich jetzt natürlich einiges erzählen, aber das Kaliwerk, also das Werk, nicht der Berg an sich, gibt es seit 1898. Es wurde sowohl damit begonnen, die Schächte „abzuteufen“, das heißt, die Schächte nach unten aufzugraben, als auch das gesamte Bergwerk überhaupt erst aufzubauen. In dem Moment, in dem wir angefangen haben, Material aus dem Boden zu holen, begann dann halt auch der Berg zu entstehen.

Jetzt meinten Sie eben schon, dass der Berg zu Beginn erst entstand. Er wurde also nicht extra erbaut oder einfach umgewandelt?
Genau, dieser Berg den man dort so schön sieht, ist die sogenannte Rückstandshalde. Das sind alle Stoffe aus dem Bergwerk, die wir nicht gebrauchen können. Wir stellen Kalium- und Magnesiumprodukte her und das, was man auf dem Berg sieht, das ist einfach das übrig gebliebene, daraus können wir keine Produkte machen. Wenn wir beispielsweise eine Tonne aus dem Bergwerk herausholen, dann können wir 30-50 Prozent davon für unsere Produkte nutzen und der Rest wird einfach auf den Berg geschüttet. Mittlerweile befinden sich auf der Rückstandshalde 50 Mio. Tonnen.

Das ist aber sehr viel. Dann ist der Berg also kein natürlicher Berg, sondern lediglich durch die Arbeit dort entstanden, sehr interessant. Wessen Idee war es denn, so etwas großes wie das Kaliwerk zu erschaffen und wem gehört es eigentlich?
Da gab es einen hannoverschen Bankier, den Sigmund Meyer. Er hatte die Idee, mit Kalisalz ein Unternehmen aufmachen zu können und ist sozusagen der erste Chef dort gewesen. Deshalb nennt man das Bergwerk auch Sigmundshall. Früher hat man sehr häufig ein „-hall“ hinter etwas gesetzt, das mit Salz zu tun hatte, da „Hall“ ein altdeutsches Wort für Salz ist. Sicherlich kennst du auch Schwäbisch Hall oder Bad Reichenhall. Das sind eben auch Städte, in denen Salz gewonnen wurde. Aber auch viele andere Bergwerke enden ebenfalls mit diesem „-hall“, beispielsweise das Kaliwerk Wintershall, es wurde einfach nach dem Investoren Herrn Winter benannt.

Meine nächste Frage wäre tatsächlich gewesen, was hinter dem Namen „Sigmundshall“ steckt, aber das haben Sie damit ja schon beantwortet. Kommen wir nun zu der Arbeit am Werk, wie viele Menschen arbeiteten hier mal und wie viele sind es heute noch?
Im vollen Betrieb haben hier etwa 770 Personen gearbeitet, aktuell sind es ungefähr 200 bis 220 Mitarbeiter*innen, was natürlich daran liegt, dass seit 2018 der Betrieb stillgelegt ist. Wenn man bedenkt, was für ein kleines Dorf Bokeloh eigentlich ist, dann sind fast 800 Mitarbeiter*innen eine sehr beeindruckende Zahl.

Bei so vielen Arbeiter*innen und der bestimmt nicht ungefährlichen Arbeit gibt es bestimmt strikte Sicherheitsvorschriften. Gab es in den 123 Jahren schon mal einen Unfall?
Die Sicherheit der Menschen steht bei uns an erster Stelle und wir verfolgen stets das Ziel, null Unfälle zu haben. Das ist natürlich einfacher gesagt als getan, denn Unfälle passieren immer. Meistens sind es nur kleine Missgeschicke, bei denen sich jemand aus Versehen mit dem Hammer auf den Finger haut, vor 20 Jahren allerdings passierte auch schon mal ein Unglück, bei dem traurigerweise ein Mann verstorben ist.

Wissen Sie mehr darüber? Wie konnte das passieren?
Der Unfall hat im Bergwerk stattgefunden. Dort gab es einen unvorhersehbaren Gasausbruch, was dann eben leider zu einer Gasvergiftung bei einem unserer Mitarbeiter sorgte, an welcher dieser gestorben ist. Deswegen appellieren wir immer wieder an all unsere Arbeiter*innen und ermutigen sie, jede Sekunde Acht zu geben, damit sich so etwas eben niemals wiederholt. Für die Arbeit im Bergwerk mit all den Maschinen braucht man einen sehr hohen Grad an Aufmerksamkeit.

Ich kann mir gut vorstellen, dass die Arbeit alles andere als entspannt und einfach ist. Jetzt, wo wir wissen, dass nicht eigentlich in dem Berg, den man immer sieht, gegraben wird, sondern „unter Tage“ (das bedeutet unter der Erdoberfläche) möchte ich gerne wissen, wie es dort unten eigentlich aussieht?
Das ist eine gute Frage. Natürlich muss man überhaupt erst mal dort hingelangen. Mit dem „Korb“, also einem Fahrstuhl, fährt man 725 Meter nach unten. Dabei kann man schon genau die Schichtenlagerungen, die geologischen Lagerungen, sehen. Dann kommen da Gipsauflagen, Buntsandsteine etc. Man kann also richtig verfolgen, wie der Boden aufgebaut ist. Unten angekommen befindet man sich dann im Salzstock, der geht drei Kilometer in die Tiefe, beginnt bei ungefähr 500 Metern und ist daher sehr groß. Dort haben wir ganz viele Tunnel eingebohrt und es gibt viele Verbindungen, Straßen etc., man kann also sagen, da drinnen sieht es aus wie ein Schweizer Käse.

Wie lang sind denn diese Tunnel und Straßen insgesamt?
Gemessen haben wir diese Straßen jetzt nicht genau, aber ich schätze mal, dass wenn man sie alle hintereinanderlegt, dann sind das bestimmt 300 Kilometer. Damit könnte man zum Beispiel dreimal nach Bremen fahren. Das Volumen des „hohlen“ Bergwerkes beträgt übrigens 50 Mio. Kubikmeter, vieles wurde allerdings auch schon wieder zugeschüttet.

Das ist also alles noch sehr viel größer, als man es sich vorstellt. Aus welchen Gründen wurde die Arbeit im Dezember 2018 eingestellt, wenn man doch schon so viel erreicht hatte?
Das stimmt, wir haben wirklich viel geschafft und natürlich viele Produkte herstellen können. Aufgehört wurde einfach deshalb, weil es keine Rohstoffe mehr zu gewinnen gab. Der Bergmann sagt: „Für uns ist das Bergwerk ausgebeutet.“ Es befindet sich – wie schon gesagt – in diesem Salzstock und dieser ist etwa 3 Kilometer tief. Wir können allerdings nicht tiefer arbeiten als auf 1400 Metern. Das ist auch der tiefste Punkt unter Tage, den man mit dem Auto erreichen kann. Dort allerdings herrschen schon Temperaturen von über 50 Grad, denn je weiter man nach unten gräbt und je näher man somit dem Erdkern kommt, desto wärmer wird es. Deshalb ist es für den Menschen irgendwann einfach nicht mehr möglich, noch weiter und noch tiefer zu arbeiten. Ich selbst war schon oft dort unten und ich kann sagen, das ist wirklich sehr anstrengend.

Aber dennoch wird heute ja im Bergwerk gearbeitet. Welche Tätigkeiten müssen noch ausgeführt werden und was passiert mit all den Straßen oder Schächten, jetzt wo sie nicht mehr gebraucht werden?
Jetzt finden die kompletten Rückbaumaßnahmen und Sicherungsarbeiten statt. Unter Tage zum Beispiel verfüllen wir noch die Hohlräume, die zu groß sind und verlegen dann die Rohrleitungen, damit wir zum Fluten das Wasser an die richtige Stelle bekommen. Es gibt ein niedersächsisches Gesetz das besagt, dass die Bergwerke in Niedersachsen mit Wasser aufgefüllt werden müssen. Das bereiten wir halt gerade vor. Bis dann alles durch die Schächte und Rohre mit Wasser vollgefüllt ist, wird es noch viele Jahre, vielleicht zehn Jahre, dauern. Außerdem sind wir natürlich dabei, die ganzen Maschinen und Fahrzeuge aus dem Bergwerk herauszuholen, wir können ja schlecht alles dort stehen lassen und Wasser drauf schütten. Bevor diese verschrottet werden, schauen wir, ob man sie noch auf dem Markt verkaufen könnte oder nicht vielleicht sogar andere Bergwerke Nutzen daran finden.

Bis also alles wieder „nur noch Berg“ ist, wird es wohl noch eine Weile dauern. Außerdem soll er – oder genauer gesagt die Rückstandshalde – begrünt werden. Kann man denn schon voraussagen, wann die ganze Fläche begrünt ist?
Bestimmt wird das noch 15 Jahre dauern. Wir decken immer Stück für Stück des Berges ab. Wir haben eine Recycling-Anlage und alles, was wir nicht in dessen Kreislauf zurückbringen können, wird zu einer Art Asche, auf welcher man dann Pflanzen ansähen und wachsen lassen kann. Mit diesem grauen, Asche-ähnlichen Boden wird der Berg jetzt die nächsten Jahre abgedeckt und wir planen, bis 2035 damit fertig zu sein. Es wird sich eine Bergwiese entwickeln, auf der nicht nur Gräser und Büsche wachsen, sondern sogar seltene Pflanzen und auch Tiere werden sich dort ansiedeln.

Wie spannend! Ich wusste nicht einmal, dass sich Tiere auf diesen Berg trauen. Haben Sie Beispiele oder können Sie mir einige dieser Tiere oder Pflanzen nennen, die dort teilweise schon leben?
Es entwickeln sich tatsächlich viele vielfältige Biotope. Aber es gibt mittlerweile Kräuter auf dem Berg, die heutzutage nicht mehr auf der normalen, landwirtschaftlichen Fläche wachsen können. Außerdem laufen mittlerweile schon ein paar Rehe dort herum und auch Füchse sind unterwegs. Jegliche Kleintiere wie Mäuse oder ein Mauswiesel gibt es, genauso wie bereits ein Dachsbau entdeckt wurde.

Sehr interessant. Ich denke, es liegt auf der Hand, dass der Kaliberg eine große Bereicherung für Wunstorf war. Inwiefern aber? Was genau wurde durch ihn erreicht, vereinfacht oder verändert?
Das ist, finde ich, eine schöne Frage. Wenn ich mir jetzt den Berg so ansehe, dann merke ich ja, dass die Region sehr gut vorangekommen ist. Sie ist stark prosperiert, hat sich also wirtschaftlich sehr gut entwickelt. Das ist wie ein Symbol für den Bergbau und für die gute

Zeit, denn durch das Bergwerk gab es sehr viele Arbeitsplätze, die Menschen konnten Geld verdienen und das aber auch nicht nur die Arbeiter*innen am Berg, sondern auch die ganzen Firmen drum herum: Der Bäcker, der Wasserinstallateur, Maschinenlieferanten, Werkstätten und eben so viel mehr. Durch die Rohstoffe, die hier abgebaut wurden hat sich die gesamte Region wunderbar entwickeln können. Außerdem ist der Berg ja irgendwie auch eine Art Wahrzeichen für die Stadt, denn tatsächlich viele Menschen kennen und interessieren sich für ihn und da ist man letztendlich stolz drauf.

Ich bedanke mich herzlich bei Jörg Willecke für das freundliche Interview mit ausführlichen und sehr interessanten Antworten.