Handball-Weltmeister Henning Fritz: „Handball ist ein toller Schulsport, aber …“

Handball-Weltmeister Henning Fritz: „Handball ist ein toller Schulsport, aber …“

Henning Fritz im Nationaltrikot bei der Handball EURO 2006.  © Foto: Michael Heuberger

 

Zwei Torhüter unter sich: Der eine – Timm Sonnabend – besucht den 12. Jahrgang der Evangelischen IGS Wunstorf und spielt bei der GIW Meerhandball. Der andere – Henning Fritz – war Europa- und Weltmeister und wurde 2004 als erster Torhüter überhaupt zum Welthandballer des Jahresgewählt. Ein Gespräch über Handball in der Schule und als Beruf.

Sagen Sie mal, Herr Fritz: Was macht Handball für Sie aus?

Der Handballsport vereint viele Attribute, die man bei einem Sport gerne haben möchte: Teamgeist, Athletik, Dramatik, Härte, aber auch Fairness – denn beim Handball sieht man relativ schnell, ob jemand schauspielert oder nicht. Bei aller Härte steht die Fairness doch meistens im Vordergrund. Handball ist in den vergangenen Jahren nochmals deutlich dynamischer geworden, und deswegen kann ein Handballspiel auch bei einer Führung von fünf, sechs Toren ganz schnell kippen – das ist für die Zuschauer natürlich super.

Finden Sie, dass Handball ein geeigneter Schulsport ist?

Auf jeden Fall, weil dieser Sport so viele Facetten vereint: Bewegung, Koordination, das Orientieren im Raum – und das alles mit einem Ball, was den Sport aber auch ziemlich komplex macht. Denn beim Handball muss man dribbeln, man darf nur drei Schritte machen, es gibt viel mehr Einschränken als etwa beim Fußball. Und kommen eben noch das Gefühl für den Ball im Raum, das Fangen und Werfen dazu. Beispielsweise einen ruhenden Fußball zu spielen, ist einfacher als beim Handball, wo die Bewegungsabläufe deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen, um sie zu lernen. Und die Grundlagen, die unterschiedlichen Wurfvarianten, sind auch von der Technik her deutlich komplexer.

Und das passt dann trotz der Komplexität in den Schulsport?

Ja, denn die Komplexität kann im Schulsport gut heruntergebrochen werden und Handball so den Unterricht bereichern. Je früher man mit einer Ballschule beginnt, um ein Gefühl für den Ball zu bekommen, wie er sich im Raum bewegt, wie er geprellt wird, wie die Flugbahnen sind, umso leichter fällt es, komplexere Bewegungen durchzuführen und Entscheidungen zu treffen.

Haben Sie dafür Tipps für Sportlehrer?

Wichtig ist es, den Lehrer ein gewisses Rüstzeug an die Hand zu geben, vor allem wenn ein Lehrer gar keinen Handball-Hintergrund hat. Fangen und Werfen – das sind Techniken, die zu Anfang etwas trocken und vermeintlich langweilig sind, und heute haben die Schüler vielleicht gar nicht mehr die Geduld, hundertmal in Folge zu fangen und werfen, um in kleinen Schritten voranzukommen. Und weil das eben nicht von eben auf jetzt geht, fällt es gerade in der Schule nicht leicht, sofort so Handball zu spielen, wie man es vielleicht aus dem Fernsehen kennt – und wie es Spaß macht. Ein Schüler fängt den Ball nicht richtig, ein anderer kann nicht werfen, ein anderer macht ständig Schritte … Das kann auch frustrieren. Und da ist aber auch der Deutsche Handballbund mit Schulungen für Lehrer gefordert, das wäre ein Ansatz, um den Handballsport mehr in die Schule – und so auch in die Breite zu bringen.

© Foto: Michael Heuberger

Handball als Beruf

Was raten Sie Jugendhandballern, die sich eine Karriere als Profi wünschen?

Hm, da muss ich wirklich überlegen, was ich darauf antworte, weil so etwas kann man eigentlich nicht planen. Bei mir waren die Rahmenbedingungen perfekt, zumal ich vom DDR-Sportsystem profitiert habe (Henning Fritz wurde 1974 in Magdeburg geboren, Anm. d. Red.). Ich habe bereits im Alter von zehn bis 14 Jahren viermal in der Woche trainiert, danach zweimal am Tag. Sport und Schule waren perfekt aufeinander abgestimmt. Durch die Wiedervereinigung konnte ich recht schnell hochklassig in der Bundesliga trainieren, habe in der zweiten Mannschaft des SC Magdeburg viele Spielanteile bekommen und so bereits ab Anfang 20 schon sehr viel Erfahrung auf einem Spitzenniveau gehabt. Heute es ist fast unmöglich, für einen jungen Torhüter wie Dich solche Rahmenbedingungen zu bekommen.

Bei mir waren die Rahmenbedingungen perfekt, zumal ich vom DDR-Sportsystem profitiert habe.

Als Torwart musst Du Deine Stärken und Schwächen erkennen sowie ständig an den “Basics” arbeiten, also Rumpfstabilität, Kraft, Kondition, Flexibilität – also Dehnung –, alles, was nötig ist, um im Tor erfolgreich zu sein. Ansonsten kann man das nur im Einzelfall besprechen. Letztlich benötigst Du Training auf dem höchsten Level, um überhaupt die Möglichkeit zu bekommen, als Handballer in den Profisport zu kommen.

Hatten Sie einen Plan B für den Fall, dass es mit dem Handball nicht geklappt hätte?

Ich habe nach meinem Realschulabschluss eine Berufsausbildung gemacht, das war mein Plan B.

Ich gehe auf das Abitur zu, habe eine 39-Stunden-Woche und spiele fünfmal in der Woche Handball: Das alles unter einen Hut zu bringen, ist schwer – zumal ich am Wochenende oft noch ein bis zwei Spiele habe, auch bei unseren 1. Herren. Wie wurde das bei Ihnen organisiert?

Schule und Sport waren immer aufeinander abgestimmt, wir mussten uns um fast nichts kümmern, die Rahmenbedingungen waren fast perfekt. Wenn Du von 39 Stunden pro Woche sprichst: Ich bin morgens um 6 Uhr aus dem Haus gegangen und war 19 Uhr wieder zuhause – auch da blieb nicht viel Zeit, um anschließend noch zu lernen. Das habe ich meistens in den Pausen zwischen Schule und Trainingseinheiten gemacht. Von daher kann ich Deine Zwickmühle gut nachvollziehen. Daher kann ich die Empfehlung, voll aufs Pferd “Profisport” zu setzen, gar nicht guten Gewissens geben. Man nur sein Talent entdecken und die Möglichkeit, so wie Du fünfmal pro Woche zu trainieren, bis zu einem Gewissen zu nutzen. Ich würde aber auf jeden Fall eine Ausbildung empfehlen. Wie alt bist Du?

Ich bin 17.

Wenn Du die Möglichkeit bekommst, höherklassig zu spielen – also im Idealfall in der ersten Liga – musst Du Dir das gut überlegen, zumal Du in einem Alter bist, in dem Du Entscheidungen treffen musst. Wenn die Reise Richtung Handball gehen soll und Du das Talent hast, solltest Du das auf jeden Fall machen – immer vorausgesetzt, dass Schule und Ausbildung nicht darunter leiden.

Wobei ja selbst ein Profispieler, der zum Beispiel bei den “Recken” in Hannover Bundesliga spielt, im Anschluss an seine Karriere nicht ausgesorgt hat …

Das stimmt. Es gibt höchstens ein paar Ausnahmen. Aber man darf nicht vergessen, dass Sport immer in einer gewissen Abhängigkeit von der Wirtschaft steht. Der deutschen Handballsport hat in den vergangenen Jahren ja an medialer Aufmerksamkeit gewonnen und konnte sich aufgrund gestiegener Sponsoringbudgets deutlich entwickeln. Sobald ein Unternehmen aber Einsparungen vornehmen muss, wird das Sponsoring meistens als erstes gestrichen. Ich will in den Teufel nicht an die Wand malen, aber die tolle wirtschaftliche Entwicklung im Handballsport bedeutet nicht, dass es in den kommenden fünfzehn, zwanzig Jahren so weitergeht. Auch deswegen rate ich jedem Handballer, der eine Profikarriere anstrebt und die passenden Rahmenbedingungen bekommt, dennoch parallel zu einer Berufsausbildung.