„Stillstand ist Rückschritt“ – Interview mit Bürgermeister Rolf-Axel Eberhardt

„Stillstand ist Rückschritt“ – Interview mit Bürgermeister Rolf-Axel Eberhardt

© Fotos: Stadt Burgdorf

Nach 22 Jahren als Bürgermeister der Stadt Wunstorf geht Rolf-Axel Eberhardt im November 2021 in Rente. Im Interview mit Jan Speidel blickt Herr Eberhardt auf diese Zeit zurück.

Wie beschreiben Sie jemandem Wunstorf, der noch nie hier gewesen ist?
Als eine schöne mittelalterliche Stadt, mit einem ganz tollen Stadtkern und vielen, vielen Außenbereichen, die dafür geeignet sind, dass man sich erholt, insbesondere das Steinhuder Meer – und man ist in 12 Minuten mit dem Zug in der Innenstadt von Hannover.

Was macht für Sie das Lebensgefühl in Wunstorf aus?
Wir sind in einer Kleinstadt. Trotz des Bahn- und Straßenverkehrs können wir doch sehr viel Ruhe und Erholung haben, man kann in Wunstorf arbeiten. Das Lebensgefühl ist einfach schön in dieser Stadt, ich lebe gerne hier, ich kann mir auch nichts anderes vorstellen.

Gibt es Ihrer Meinung nach so etwas wie „den Wunstorfer“?
Ich glaube nicht. Nach dem zweiten Weltkrieg sind viele Flüchtlinge aus Schlesien und Pommern gekommen, es waren fast so viele, wie die einheimische Bevölkerung. Inzwischen haben wir auch 119 verschiedene Nationalitäten, die in der Stadt leben, d.h. den typischen Wunstorfer wird es nicht geben. Der Wunstorfer unterscheidet sich eben durch die Vielseitigkeit der unterschiedlichen Nationalitäten und Charaktere. Das ist gar nicht abträglich für das gemeinschaftliche Zusammenleben.

Was ist ihre liebste Wunstorfer Kindheits- oder Jugenderinnerung?
Ich bin kein gebürtiger Wunstorfer. Meine Großeltern lebten hier. Ich verbrachte einen Teil meiner Kindheit und Jugend bei ihnen. Mein Vater war Lehrer und immer dagegen, dass Comics gekauft wurden. Mein schönstes Erlebnis war, wenn meine Oma mit mir in einen Zeitungsladen ging, um mir ein „Micky Mouse“- oder ein „Fix und Foxi“-Heft zu kaufen. Ich erinnere mich gerne daran zurück, dass mir meine Großeltern bei Jahns ein „Siku“-Auto kauften. Darüber habe ich mich so gefreut, dass ich heute noch oft dran denke. Das sind Kleinigkeiten, aber man denkt oft noch dran und deshalb bin ich auch so gerne zu meinen Großeltern gefahren.

Haben Sie davon noch was oder ist das alles verschollen?
Ich habe das alles auf meinem Dachboden gelagert, das sollen meine Enkel bekommen.

Was haben Sie gemacht, bevor Sie Bürgermeister wurden?
Nach dem Abitur war ich zwei Jahre bei der Bundeswehr, bin dort Offizier geworden und habe danach Jura an der Leibnitz Universität in Hannover studiert. Dann bin ich in meiner ersten Station als Verwaltungsbeamter beim Land Niedersachsen gewesen. Dort war ich über zwölf Jahre in unterschiedlichen Bereichen, unter anderem als Personalchef im Innenministerium.

Wo waren Sie bei der Bundeswehr?
Das war ganz lustig, ich wollte da nie hin: Ich war in Klein Heidorn, das kannte ich damals gar nicht, ich war auf dem Fliegerhorst.

Was hat Sie dazu bewegt, Bürgermeister von Wunstorf zu werden?
Also, das ist auch eine lange Geschichte. Ich komme ja aus der Verwaltung und habe lange beim Land Niedersachsen gearbeitet. Als die Stelle des Vertreters des Stadtdirektors ausgeschrieben wurde, habe ich mich darauf beworben – und bin auch gewählt worden. Als dann der Stadtdirektor David entschieden hat, nicht mehr zu kandidieren, hat er mich überzeugt, für das Amt des Bürgermeisters zu kandidieren, weil ich als Wunstorfer in der Stadtverwaltung tätig war. Wenn Herr David dageblieben wäre, hätte ich wahrscheinlich niemals kandidiert.

Gab es viel, was Sie verändern wollten – und welche großen Projekte konnten Sie umsetzen?

Es gibt eine ganze Menge, denn Stillstand ist Rückschritt. Jeden Tag sind Veränderungen in der Stadt zu spüren, auch wenn Du das das nicht merkst. Große Projekte in 22 Jahren als Bürgermeister kann ich natürlich eine ganze Menge aufzählen. Über manche wirst Du schmunzeln, aber immerhin kommen wir mit der Umgehungsstraße jetzt einen ganzen Schritt weiter. Es ist ein großes Projekt, was die Zukunft von Wunstorf sehr verändern wird.

Auch das Gewerbegebiet zwischen der Barne und Kolenfeld/dem Mittellandkanal ist ein Bereich, den ich mit meinem Team entwickelt habe. Viele Arbeitsplätze konnten da angesiedelt werden. Aber einer meiner größten Kämpfe war, dass der Fliegerhorst erhalten blieb und dass der A400M in Wunstorf startet und landet.

Dann ist da natürlich Eure Integrierte Gesamtschule. Dass die Kirche die Trägerschaft übernommen hat, war auch ein wichtiges Anliegen. Auch erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Errichtung von einigen Kindertagesstätten sowie die Einrichtung von Betriebskindergärten von Wunstorfer Unternehmen, in denen die Leute von sechs Uhr morgens bis 20 Uhr arbeiten und somit die Betreuung ihrer Kinder in der Zeit gesichert ist.

Ich könnte noch mehr aufzählen, doch das fällt mir spontan ein …

Sie sprachen die Nordumgehung bereits an. Bedauern Sie es sehr, dass der erste Spatenstich nun nicht mehr in Ihre Amtszeit fällt?
Ja, ein bisschen, weil ich diese Nordumgehung quasi während meiner gesamten beruflichen Tätigkeit verfolgt habe. Auch bei der Bezirksregierung, bei meiner ersten Station als junger Assessor, hatte ich mit der Nordumgehung schon zu tun. Und hier in den letzten Jahren natürlich auch mit dem Planfeststellungsverfahren und mit den Prozessen, die jetzt alle geführt wurden. Ja, das ist schon merkwürdig, wenn man sagen kann, dass in 40 Jahren so eine Straße nicht gebaut werden konnte. Das macht einen nachdenklich, auch ein bisschen traurig. Das sagt mir, wir müssen schneller und besser werden in Deutschland. Es dauert alles zu lange, und die Bürgerinnen und Bürger haben wenig Verständnis dafür.

Also kann man sagen, es gab viel Gegenwind?
Nee, eigentlich gar nicht! Es gab eine Bürgerinitiative, die hat sich irgendwann aufgelöst. Ich glaube schon, dass es eine ganz breite Mehrheit in Wunstorf gibt, die die Nordumgehung für erforderlich hält. Eure Schule liegt ja direkt an der 442, so dass ihr jeden Freitag den ganzen Verkehr, der sich da staut, beobachten könnt. Das ist für die Menschen, die an dieser Straße leben, nicht zumutbar. Da brauchen wir Veränderungen, und somit hat sich der Widerstand auch in Grenzen gehalten. Aber weil die Verfahren so kompliziert und so langwierig sind, hat das jetzt so lange gedauert. Die Planungen und die Ausschreibungen laufen, im nächsten Jahr soll der erste Spatenstich sein. Es wird allerdings wohl bis 2025/26 dauern, bis diese Straße in Betrieb geht.

Das wird bestimmt viele Menschen freuen, wenn sie nicht mehr durch die Innenstadt fahren müssen.
Ja, das glaube ich auch. Vor allem können wird dann die Stadt für Radfahrer und andere Verkehrsteilnehmer öffnen und haben nicht mehr den Durchgangsverkehr mit Lastwagen und vielen Autos, die ans Steinhuder Meer wollen.

Nochmals zu unserer Schule: Sie standen 2010 der Gründung einer Gesamtschule eher skeptisch gegenüber. Welches Fazit ziehen Sie jetzt nach knapp zehn Jahren Evangelischen IGS Wunstorf?
Eigentlich ein positives Fazit. Die Schule hat einen exzellenten Ruf. Sie hat ganz tolle Lehrerinnen und Lehrer, und die Schüler sind auch super. Die Evangelische IGS hat ein gutes Konzept, ein gutes Angebot, das auch das Gymnasium ergänzt. Deshalb ist das Fazit gut. Du solltest wissen, dass mein Vater Leiter einer IGS in Langenhagen war, und er hat mir immer gesagt, eine IGS sei eine teure Schule und eine IGS funktioniere nur, wenn sie quasi eine gymnasiale Oberstufe habe. Deshalb ist es schön, dass sich die Kirche zugestimmt hat, dass man mittlerweile auch hier jetzt das Abitur machen kann. Das war zum Anfang nicht gar nicht vorgesehen. Insofern ist das insgesamt eine gute Entwicklung man kann stolz auf diese Schule sein.

Haben Sie auch andere Dinge bewegen können, die einen Einfluss auf das Leben von Kindern und Jugendlichen in Wunstorf gehabt haben?
Wir sind dabei, Ganztagsschulen zu initiieren. Die erste Ganztagsschule in Klein Heidorn ist schon zwei, drei Jahre am Netz. Insgesamt habe ich fünf neue Kindertagesstätten errichtet, und es sind noch Neubauten und Ausbauten in Planung.

Und für die Freizeit haben wir auch die Skaterbahn errichtet. Ich glaube, das war ein großer Wunsch der Jugendlichen. Ich freue mich, dass uns 2014 eine gemeinsame Finanzierung mit der Stadtsparkasse Wunstorf gelungen ist. Ferner habe ich das Jugendzentrum „Der Bauhof“ mitgegründet. Ich glaube, dass ist eine tolle Freizeiteinrichtung. Viele Jugendliche fühlen sich dort sehr wohl.

Nicht zu vergessen das Kinder- und Jugendzentrum „Küsterhaus“ in Steinhude sowie das Projekt „Kurze Wege“ in der Barne.

Man sollte aber auch nicht vergessen, dass wir die Sportvereine unterstützen, damit viele Jugendliche auch Sport treiben können, wenn Corona vorbei ist. Die Vereine sind auch sehr, sehr wichtig für unsere Stadt.

Wunstorf wirbt mit dem Slogan „Die schönste Innenstadt der Region“. Sind Sie besorgt, dass die schon lange anhaltenden pandemiebedingten Geschäftsschließungen der Innenstadt großen Schaden zufügen könnte
Ausschließen kann man das nicht. Wir unterstützen die Werbegemeinschaft in der Innenstadt und hoffen auch, dass die Geschäfte weiterhin öffnen können. Natürlich ist es auch eine Sache der Menschen, die in Wunstorf leben, dass sie auch hier in der Innenstadt einkaufen. Das Konsumverhalten des Einzelnen ist dafür entscheidend, ob sich die Geschäfte halten oder nicht! Die Stadt wird ärmer werden, wenn Geschäfte schließen müssen, weil alle nur online kaufen. Ich hoffe, dass wir dem entgegentreten können. Im Augenblick stehen auch nicht irgendwelche Schließungen an. Aber wir müssen die Daumen drücken, dass im Sommer viele Menschen geimpft sein werden, und dass die Geschäfte wieder öffnen können. Ich bin optimistisch, dass wir das schaffen. Es muss auch geschehen, denn lange können die Geschäftsleute das nicht mehr aushalten.

Ich denke, das hoffen wir alle, dass wir im Sommer in der Stadt einkaufen können, denn das macht ja vieles einfacher.
So ist es, da drücken wir gemeinsam die Daumen. Ich bin da aber Optimist von Hause aus und meine auch, dass das dann wieder möglich sein wird.

Ihre Amtszeit endet im November 2021: Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Positiv. Ich bin mit mir im Reinen. Wir haben für die Stadt viel erreicht. Mir macht die Arbeit unheimlich viel Freude! Ich habe eine super Zusammenarbeit mit dem Rat unserer Stadt, wir haben eine tolle Stadtverwaltung, mit wirklich sehr motivierten Mitarbeitern. Insofern ist es trotz der Probleme, die wir auch haben, insgesamt eine sehr schöne Tätigkeit, die ich 22 Jahre lang als Bürgermeister ausüben durfte. Ich hoffe, dass ich auch danach noch einiges für die Stadt bewirken kann. Ich lebe gerne hier und es ist wirklich viel Lebensqualität hier in dieser Stadt.