Andreas Steinhöfel: „Etwas überfüllt vor Leser-Begeisterung“

Andreas Steinhöfel: „Etwas überfüllt vor Leser-Begeisterung“

Andreas Steinhöfel hat mit dem Kinderbuch „Rico, Oskar und die Tieferschatten“ nicht nur einen Bestseller geschrieben, sondern damit zahllosen Schülern auch eine tolle Lektüre im Deutschunterricht beschert. An unserer Schule wird der Roman im fünften Jahrgang gelesen. 

Klar, dass der Blattsalat ganz viele Fragen an den Autor hat – aber damit offenkundig nicht alleine steht: Auf unsere Anfrage antwortete Andreas Steinhöfel freundlich, dass es bei ihm „inzwischen etwas überfüllt vor Leser-Begeisterung“ sei, weshalb er Leserbriefe (auch in Interview-Form) leider nicht mehr individuell beantworten könne. „Es kommen hundert (Anfragen) jeden Monat rein, das drohte zum Vollzeitjob zu werden“, berichtet Steinhöfel und bittet um Verständnis, dass er uns nur seine vorgefertigten Antworten auf die am häufigsten gestellten Fragen schicken könne – zu ihm als Autor sowie zu Rico und Oskar. Da diese Antworten so toll sind, findet Ihr sie nachfolgend:

Andreas Steinhöfel über seine Arbeit und sich:

Wie viele Bücher haben Sie insgesamt geschrieben?

Bis jetzt 21. Vom sehr kurzen Buch mit ein paar Gutenachtgeschichten für Vorschulkinder bis hin zu einem dicken Roman für Jugendliche und Erwachsene.

Wann haben Sie mit dem Schreiben angefangen?

Das war 1990. Bis dahin hatte ich nie irgendetwas geschrieben und wollte auch nicht Schriftsteller werden. Dann bekam ich zufällig ein Kinderbuch in die Finger. Das fand ich so doof, dass ich selber ein besseres schreiben wollte. Habe ich dann auch getan. Mein Buch hieß „Dirk und ich“, und ich schickte es an jenen Verlag, der das bewusste doofe Buch herausgegeben hatte. Dem Verlag gefiel es, man bot mir einen Vertrag an und schon war ich Autor.

Warum sind Sie Schriftsteller und nicht Lehrer geworden?

Lehramt studierte ich bis nach der ersten bestandenen Zwischenprüfung, also etwa bis zur Studiums-Halbzeit. Dann entschied ich, dass ich keine anderen Menschen bewerten wollte nur aufgrund ihrer Leistungen, ohne sie aber sonst wirklich zu kennen, und damit über ihre Zukunft mit zu entscheiden. Lehrer zu sein ist ein sehr verantwortungsvoller Beruf, und dieser Verantwortung fühlte ich mich nicht gewachsen. Also studierte ich weiter – englische und amerikanische Literatur sowie Medienwissenschaften – und machte meinen Magister.

Haben Sie Kinder und wenn ja, wie viele?

Nee, ich bin schwul und Schwule durften bis ins Jahr 2017 in Deutschland keine Kinder adoptieren. Sonst hätte ich ja welche. Früher wollte ich immer drei Kinder haben. Kinder finde ich absolut klasse, auch wenn sie einem den letzten Nerv rauben können. Aber man kann sie prima zum Einkaufen schicken und die Wohnung putzen lassen und so weiter. 🙂

Kinder finde ich absolut klasse, auch wenn sie einem den letzten Nerv rauben können.

Wie viele Bücher wollen Sie noch schreiben?

Naja, schon noch zwei oder drei. Eventuell auch vier. Ich schreibe nicht aus Jux oder weil ich zum Beispiel Abenteuergeschichten mag oder so. Ich schreibe, weil es Themen gibt, die mir am Herzen liegen und von denen ich finde, dass sie Kinder mal mehr, mal weniger beschäftigen und sie sich in meinen Geschichten wiederfinden können.

Wie fanden Ihre Eltern, dass Sie Schriftsteller werden wollten?

Meine Eltern haben mich immer alles machen lassen, was ich wollte. Als ich jünger war, haben sie mich beraten, bei der Frage zum Beispiel, ob ich aufs Gymnasium gehen sollte oder nicht. Die Entscheidungen haben sie aber immer mir überlassen und sie nie in Frage gestellt. Ich hätte auch Obdachloser werden dürfen oder Millionär. Schriftsteller ist irgendwas dazwischen, sie waren also recht zufrieden.

Schreiben Sie gerade an einem Buch?

Ja, am fünften und endgültig letzten Band der „Rico“-Romane: Rico verknallt sich heftig und kommt in die Pubertät – das könnte dann höchstens im Jugendbuch weitergehen. Wird es aber nicht.

Welches Buch ließ sich am besten verkaufen?

Da habe ich den Überblick verloren. „Rico und Oskar“ auf jeden Fall. Ein paar Titel werden gern in Schulen gelesen, die verkaufen sich also regelmäßig: „Paul Vier“, „Beschützer der Diebe“. Dann gibt es eine Weihnachtsgeschichte – „Es ist ein Elch entsprungen“ –, die jedes Jahr sehr gut läuft, und außerdem den Roman „Die Mitte der Welt“, der sich auch seit Jahren gut verkauft (einige davon sind bzw. werden gerade fürs Kino verfilmt). In Zahlen heißt das irgendwas zwischen 300.000 und eine Million Verkäufe pro Buch. Das macht mich aber leider trotzdem nicht zum Millionär – oder zumindest eher langsam ;-). Von dem, was ihr für ein Buch bezahlt, erhält der Autor knapp zehn Prozent (bei Taschenbüchern etwa fünf bis sechs), und das muss dann noch versteuert werden.

Wie lange dauert es, so ein Buch zu schreiben?

Kommt darauf an. Für „Die Mitte der Welt“ (450 Seiten) habe ich vier Jahre gebraucht, „Paul Vier“ (120 Seiten) war in sechs Wochen fertig, wenigstens in der ersten Fassung. Früher habe ich schneller geschrieben als heute. Je umfangreicher das Buch wird, umso länger brauche ich exponentiell – das heißt: 100 Seiten schaffe ich vielleicht in acht Wochen, aber 200 dauern dann schon sechs Monate und 300 Seiten womöglich zwei Jahre. Und so weiter.

Welches ist Ihr Lieblingsbuch?

Von meinen eigenen „Es ist ein Elch entsprungen“, da ist am meisten von mir selber drin. Sagen wir mal: Es kommt von Herzen. Mein Lieblingsbuch aber heißt „David Copperfield“ und stammt von einem englischen Autor namens Charles Dickens. Der ist schon lange tot, aber das ändert nichts an der Qualität des Romans.

Mein Lieblingsbuch heißt „David Copperfield“ und stammt von einem englischen Autor namens Charles Dickens.

Woher holen Sie Ihre Anregungen?

Überall, hauptsächlich vom Beobachten anderer Menschen. Oder wenn bestimmte Fragen mich dauerhaft beschäftigen, ich aber keine eindeutigen Antworten darauf finde. Oder beim Lesen von Büchern, beim Ansehen von Filmen … Ideen liegen auf der Straße. Notfalls gibt es sie aber auch donnerstags bei ALDI, man muss nur verdammt früh aufstehen. Viele Leute glauben, das Schwierige beim Schreiben sei es, gute Ideen zu haben. Aber Ideen gibt es wie Sand am Meer. Sie in eine Geschichte zu verpacken, und das möglichst noch unterhaltsam, ist der eigentlich schwierige Teil der Arbeit.

© Foto: Carlsen Verlag

Andreas Steinhöfel über Rico und Oskar:

Woher kam die Idee zu Rico und Oskar?

Die Idee zu den „Tieferschatten“ kam mir, nachdem ich einen Zeitungsartikel über Hochbegabte gelesen hatte. Weshalb ich die Geschichte aus der Sicht von Oskar begann. Und weil Gegensatzpaare so prima funktionieren, erfand ich Rico dazu. Es stellte sich dann aber schnell heraus, dass Rico da nur der Doofe war, der Stichworte für die Gags gab. Also hab ich’s umgekehrt: Um zu zeigen, wie jemand sich fühlt, den fast alle für dumm halten, obwohl sein einziges Problem ist, dass er manchmal nicht geradeaus denken kann. Klappte super!

Hörprobe aus „Rico, Oskar und die Tieferschatten“ (gelesen vom Autor, erschienen bei Silberfisch/Hörbuch Hamburg)

 

Woher kommt das Wort „tiefbegabt“?

Habe ich mir ausgedacht. Klingt freundlicher als „bekloppt“ oder „Spasti“ oder „behindert“, oder? Soll es auch. Schließlich ist Rico nicht dumm. Er denkt nur manchmal anders als andere. Und hat außerdem die Gabe, sich in andere Menschen einzufühlen. Das ist eine tolle Fähigkeit, die auch manche schlauen Leute nicht haben. Leider.

Warum trägt Oskar einen Helm?

Weil er Schiss hat, vor allen möglichen Dingen. Könnte ja sein, eines Tages beschließt der Himmel, dass er heute mal ein bisschen abstürzt. Auf kleine Jungs drauf. Deshalb kennt Oskar ja auch jede Unfallstatistik. Ich wollte aber auch zeigen, was Eltern mit ihren Kindern anrichten, wenn sie ihnen, praktisch schon bei der Geburt, einen Sturzhelm verpassen. Solche Eltern wollen von ihren Kindern alle Gefahren fernhalten. Das ist sehr nachvollziehbar, aber: Wie soll ein Kind dann Erfahrungen mit unangenehmen Dingen machen? Es wird später, als Erwachsener, bei der geringsten Belastung womöglich heulend zusammenbrechen. Nicht gut. Gar nicht gut.

Warum lässt Oskar sich entführen?

Dass Oskar sich entführen lässt, liegt daran, dass er sich selber überschätzt. Er ist schlau, aber er hat es noch nicht so richtig raus, die Konsequenzen seines Tuns abzuwägen. Die Strafe dafür ist, dass er mit Hamburgern gemästet wird. Andererseits: Wenn nicht ab und zu Leute sich selbst überschätzten, kämen wir auf der Welt nicht besonders schnell voran. Deshalb nur Hamburger. Ich hätte ja auch Bio-Kuchen ohne Zucker nehmen können.

Haben Sie selber in so einem Haus gelebt?

Naja … In Berlin wohnte ich in der Dieffe 72, aber die Dieffe geht nur bis Nummer 81, glaube ich. Eine Nummer 93 gibt es jedenfalls gar nicht. Trotzdem suchen inzwischen ganze Heerscharen von Kindern das Haus, in dem Rico lebt, und klingeln dabei gnadenlos in aller Frühe die vermeintlichen Nachbarn von Rico aus den Betten. 🙂

Kennen Sie selber Kinder wie Rico und Oskar?

Kinder nur ein paar – aber Erwachsene jede Menge, vor allem tiefbegabte 🙂. Nee, im Ernst: Mein (leider verstorbener) Lebensgefährte war als Kind tiefbegabt. Das bedeutet nicht, dass er doof war, im Gegenteil. Aber seine Art zu denken (und zu fühlen) passte nicht zur gängigen Art, wie in Schulen Unterricht gemacht wurde. Heutzutage schaut man, was solche Kinder betrifft, etwas genauer hin und versucht sie besser zu unterstützen.

 

© Andreas Steinhöfel, 2019